Meine Plenarrede: Generationengerechte und zukunftsfeste Investitionen ermöglichen

Im Februar-Plenum haben wir als Setzpunkt der FDP über die Schuldenbremse diskutiert. In meiner Rede mache ich klar, dass wir unbedingt mehr Zukunftsinvestitionen brauchen. Denn trotz sinkender Steuereinnahmen dürfen Ausgaben für Klimaschutz, eine zukunftsfeste Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt keinesfalls vernachlässigt werden.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Letzte Woche ging ein Brandbrief durch die Schlagzeilen. Über 50 Unternehmen wenden sich dabei an die Bundesregierung und die demokratische Opposition, also explizit an CDU, SPD, FDP und uns Grüne. Der Brief wurde unterzeichnet von bekannten Namen wie Hugo Boss, Puma, dm und sogar von Fraport und mehreren Banken mit Sitz in Hessen.

Diese Firmen fordern einen Plan für die Transformation zur Klimaneutralität. Sie fordern dabei einen Schulterschluss aller demokratischen Parteien. Und sie fordern die dringend benötigten Investitionen, um eine klimafreundliche Wirtschaft möglich zu machen, dass die Schuldenbremse weiterentwickelt wird.

Da muss ich doch sagen, liebe Marion, liebe Kollegen von der FDP: Ihr seid schon lange keine Partei mit Wirtschaftskompetenz mehr!

Denn ansonsten wüsstet Ihr doch: Ein wesentlicher Baustein für wirtschaftlichen Erfolg für Unternehmen ist Planungssicherheit. Diese 50 Unternehmen haben Recht, wenn sie ein parteiübergreifendes Leitbild fordern, das bis 2045 reicht, und einen demokratischen Grundkonsens beinhaltet, wie wir den klimaneutralen Umbau unseres Landes gemeinsam gestalten. Denn sie wissen, dass die Transformation gelingen kann, wenn sie sich auf einen Fahrplan mit einer Wachstumsperspektive verlassen können. Dann ist die Transformation eine Chance für unsere Wirtschaft, und Deutschland wird nicht abgehängt, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das ist nicht das einzige Thema, vor dem wir stehen. Als Politik haben wir die Aufgabe, für einen funktionierenden Staat zu sorgen – Stichwort Infrastruktur – und damit auch für die Grundlagen einer funktionierenden Gesellschaft. Da geht es um angemessene Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung. Da geht es um Hörsäle, die nicht einstürzen. Da geht es auch um eine Schieneninfrastruktur, auf der Züge fahren – und zwar pünktlich – die die Menschen und Güter in pünktlicher Zeit von A nach B bringen.

Ich verstehe, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten November die Schuldenbremse noch einmal in aller Munde gebracht hat. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Die Schuldenbremse ist kein Selbstzweck. Deswegen sollte sie auch nicht manisch vor sich hergetragen werden; denn Deutschland hat objektiv kein Verschuldungsproblem.

Im Gegenteil feiert sich der Bundesfinanzminister gerade dafür, dass die deutsche Schuldenquote sinkt. Im Vergleich zu anderen großen Industrieländern haben wir also eine niedrige Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP. Es gibt so viele Herausforderungen in diesem Land und der erste Setzpunkt der FDP in dieser neuen Wahlperiode lautet reflexartig: Schuldenbremse. Das verkennt völlig die ökonomischen Realitäten und die Investitionskrise, die wir haben. Das ist reine Ideologie, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Machen wir doch einmal eine Bestandsaufnahme. Es ist leider abzusehen, dass die Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen vorbei sind. Die neue Landesregierung steht da vor einer riesigen Aufgabe. Trotzdem gehen die Herausforderungen nicht weg, nur, weil weniger Steuern reinkommen. Die Ausgaben für eine funktionierende Infrastruktur, für eine intakte Umwelt, für eine zukunftsfeste Wirtschaft oder für unseren sozialen Zusammenhalt dürfen auf keinen Fall bei der neuen Haushaltslage unter die Räder geraten.

Marion Schardt-Sauer hat es gesagt: 2011 kam die Schuldenbremse über einen Volksentscheid in unsere Hessische Verfassung und sie kommt da auch so schnell nicht weg. Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgerichtsurteil hat die Schuldenbremse auch für die Länder nochmal deutlich geschärft. Das erkennen wir selbstverständlich an.

Aber die Schuldenbremse kommt eben aus einer Zeit – ich würde mir wünschen, dass Sie das anerkennen – als wir in Europa keinen Krieg hatten und als Klimaschutz leider noch nicht richtig ernst genommen wurde.  

Deswegen sagen wir: Es ist jetzt an der Zeit, das Instrument der Schuldenbremse weiterzuentwickeln. Jetzt ist die Zeit, generationengerechte und zukunftsfeste Investitionen zu ermöglichen und die Schuldenbremse um eine Investitionsregel zu ergänzen.  

Wir meinen damit ausdrücklich nicht: Schuldenbremse abschaffen. Das meinen wir ausdrücklich nicht. Ich sage Ihnen auch, warum. Das war eben schon Thema. Die Schuldenbremse wurde zwar erst 2020 für die Bundesländer scharf gestellt, aber Hessen ist tatsächlich schon 2016 einmal ohne neue Schulden ausgekommen. 2016, das erste Mal seit 1969, und zwar dank der damaligen, sehr erfolgreichen schwarz-grünen Landesregierung.

Die hatte damals geschaut, und zwar im Gleichgewicht, wo wir Einnahmen erhöhen und wo wir Ausgaben senken können. Das wäre ohne Schuldenbremse am Horizont so einfach nicht erreicht worden. Da müssen wir auch einmal ehrlich sein. Genauso wenig wäre es jetzt erreicht worden, dass die aktuelle Bundesregierung an die klimaschädlichen Subventionen rangeht, wie an den Agrardiesel oder sogar die Luftverkehrsabgabe. Das wäre ohne die Schuldenbremse nicht erreicht worden. Das erkennen wir ausdrücklich an.

Wir erkennen also, dass die Schuldenbremse dazu führt, keine unnötigen Lasten auf die kommende Generation zu übertragen, und sagen ganz klar: Der Grundgedanke, dass die laufenden Ausgaben aus den laufenden Einnahmen finanziert werden müssen, hat sich bewährt. Das ist Politik, die nicht auf Kosten zukünftiger Generationen gemacht wird.

Aber wenn es doch um Ausgaben geht, die ein gesellschaftliches Vermögen schaffen, dann kann es nicht sein, dass Schulden für präventive Maßnahmen gegen Krisen und Ausgaben für eine zukunftsfeste Wirtschaft nicht erlaubt sind.

Wir dürfen also nicht mit zukunftsorientierten Ausgaben der Klimakrise vorbeugen; aber wenn eine Flutkatastrophe als Folge der Klimakrise eine ganze Ortschaft verwüstet, dann erst dürfen wir die Notlage erklären im Sinne der Schuldenbremse und die Folge der Katastrophe mit Krediten bekämpfen. Also erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann dürfen wir es zu viel höheren Kosten retten! Wann verstehen Sie endlich: Nicht Klimaschutz ist teuer, sondern wenn wir nicht genug unternehmen, dann wird die Klimakrise richtig teuer!

Liebe CDU, liebe SPD, der im Koalitionsvertrag angekündigte Hessenfonds erfüllt diese Herausforderungen leider in keiner Weise. Dabei wäre es so sinnvoll, Fremdkapital zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen aufzunehmen und es wieder über die Jahre zurückzuzahlen mit einem konkreten Tilgungsplan, während auf der anderen Seite der Bilanz handfestes Vermögen dafür geschaffen wird.

Und um alle zu überzeugen, die auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen, hier ein Zitat: „Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaftskraft des Landes müssen über Kredite finanziert werden können. Alles andere führt in wirtschaftlich angespannten Zeiten zu einer Verschlechterung der Lage und zu großer Unsicherheit für Beschäftigte und Einkommen.“ Das hat Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen, so gesagt.

Deswegen sagen auch wir: Statt einer Zukunftsbremse brauchen wir mehr Zukunftsinvestitionen.

Wir wollen, wie gesagt, die Schuldenbremse nicht abschaffen, wir wollen sie weiterentwickeln und um eine Investitionsregel ergänzen, die dringend nötige Zukunftsinvestitionen mit einem konkreten Tilgungsplan zulässt.

Die gute Nachricht ist, selbst mit der Schuldenbremse in unserer Verfassung gibt es schon Möglichkeiten, den finanziellen Handlungsspielraum zu erweitern. Es wäre jetzt schon möglich, dass öffentliche Investitionsgesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit Fremdkapital aufnehmen, um damit gesellschaftliche Vermögenswerte zu finanzieren – beispielsweise ein intaktes Schienennetz, funktionierende Straßen oder moderne Hörsaalgebäude. Ich sehe hier Begeisterung der CDU, aber das steht halt leider auch nicht in Ihrem Koalitionsvertrag.

Man könnte das Ganze unter dem Dach der WIBank, in Anlehnung an das Modell Hessenkasse, oder im Rahmen von Investitionsfonds mit privatem Kapital machen. Öffentliche Investitionsgesellschaften haben den Vorteil, dass sie in der aktuellen Form schuldenbremsen-konform sind, aber trotzdem eine klare Zweckbindung der Mittel ausschließlich für die gewünschten Zukunftsinvestitionen ermöglichen.

Genau das wäre ein Signal der Kontinuität. Das wäre Planungssicherheit für alle beteiligten Sektoren. Das ist eben genau das, was gebraucht wird. Denn, was sich Unternehmen in Deutschland und in Hessen wünschen, sind langfristige Investitionen, Stabilität und Planbarkeit, die nicht von der Haushaltslage abhängig ist. Wer das nicht erkennt – das geht auch in Richtung der Koalition –, der sollte sich besser nicht „Wirtschaftspartei“ nennen.

Es ist sogar so: Sie haben das nicht nur nicht in Ihrem Koalitionsvertrag stehen, sondern Sie als Koalition
machen genau das Gegenteil.

Sie sorgen für maximale Unsicherheit statt für Planungssicherheit. Sie wollen nämlich – das steht sogar im Antrag – „eine ergebnisoffene Prüfung der gesamten Ausgaben- und Einnahmestruktur“ durchführen. Das heißt, Sie sind bereit, sämtliche Leistungen des Landes zulasten der Menschen zu kürzen, wenn es die Haushaltslage erfordert, anstatt einmal in
Richtung progressiver Weiterentwicklung zu denken.

Ich finde, das geht auch nicht nur über die Wirtschaft.

Ich habe viel über die Wirtschaft gesprochen. Aber diese Sparideologie riskiert das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unseres Staates. Das stärkt ehrlicherweise auch rechte Ränder; denn, wenn man dem Staat nicht mehr vertrauen kann, stärkt das rechte Ränder. Wir haben das in Berlin gesehen. Da hat die Sparwut dazu geführt, dass ein Computervirus 2019 die gesamte Verwaltung des Arbeitsgerichts für sechs Monate lahmgelegt hat. Das haben wir auch in Hessen, dass wir davor nicht gefeit sind. Deswegen: Wenn es eine Vertrauenskrise in die Politik in unserem Land gibt, dann ist diese Krise herbeigespart, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Deswegen: Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie ausreichend Mittel bereitstellt und dafür die verfassungsrechtlichen Spielräume der Schuldenbremse nutzt – angesichts der Herausforderungen unserer Zeit, für die Erneuerung unseres Landes, für
die Menschen und ihr Vertrauen in unsere Demokratie. Als GRÜNE sind wir zu dem geforderten Schulterschluss der demokratischen Parteien in dieser Frage bereit.