Morgen mehr! Ein Besuch im Lernlabor der Bildungsstätte Anne Frank

Etwas versteckt in einem Wohngebiet im Dornbusch gelegen, aber gut ausgeschildert und mit Bus und (nach den Ferien auch wieder) U-Bahn direkt zu erreichen ist die Bildungsstätte Anne Frank. Hier bin ich heute mit Dr. Meron Mendel verabredet, dem Direktor der Bildungsstätte, der mich durch die interaktive Ausstellung „Anne Frank – Morgen mehr“ führen wird. Seit 1994 versucht das hessenweit arbeitende Bildungszentrum – eine Dependance gibt es in Kassel – mit vielen Aktionen, Veranstaltungen, Publikationen, einem durch Hessen tourenden mobilen Lernlabor, Workshops und Seminaren das Gedenken an Anne Frank, ihr Tagebuch und seine Botschaft lebendig zu halten. Nur wenige Hundert Meter von der heutigen Bildungsstätte entfernt hat Anne Frank einst gelebt, bevor sie vor den Nazis nach Amsterdam geflohen ist und dort mit 13 Jahren begann, ihr Tagebuch zu schreiben. 

Ungefähr im gleichen Alter sind die Jugendlichen, an die sich das vor einem Jahr eröffnete Lernlabor schwerpunktmäßig richtet. Unter der Woche ist die Dauerausstellung nur für Jugendgruppen und Schulklassen zugänglich, am Wochenende öffnet die Bildungsstätte ihre Tore für alle Interessierten. Zur Einführung gibt es einen kurzen Film und Meron Mendel drückt mir ein Tablet in die Hand. Mithilfe des Tools bewege ich mich durch die einzelnen Stationen der Ausstellung, denn anders als bei herkömmlichen Museen gibt es hier nichts zu „besichtigen“. Erleben, nachdenken, handeln, entscheiden und seine Meinung äußern sind gefragt! Jugendliche Besucher*innen werden bei ihrem Rundgang von Mitarbeiter*innen begleitet, die wenig älter sind als sie selbst. Dass junge Menschen von anderen jungen Menschen lernen sollen, ist Teil des Ausstellungskonzeptes. 

Ich logge mich an der ersten Station ein und lande im Jahr 1942. In einer virtuellen Computersimulation erkunde ich das Hinterhaus, in dem sich die acht Untergetauchten über zwei Jahre lang versteckt hielten und auf engstem Raum zusammenleben mussten. Ich erfahre mehr über die einzelnen Mitbewohner*innen Anne Franks und ich erlebe anhand einer audiovisuellen Messstation, was „leise sein“ wirklich bedeutet – selbst ein Flüstern liegt oberhalb der Hörschwelle und war damit potenziell gefährlich! Ich vergleiche die verschiedenen Versionen des Tagebuchs (neben der von Anne Frank ursprünglich verfassten, gibt es eine von ihr selbst überarbeitete Version und schließlich eine dritte, die eine Synthese aus beiden Fassungen bildet) und deren filmische Adaptionen. 

Aber mit der historischen Betrachtung gibt sich das Lernlabor – anders als die frühere Dauerausstellung – nicht zufrieden. Das Tablet in meiner Hand lässt nicht vergessen, wo der Schwerpunkt liegt – in unserer heutigen Zeit! Das Tagebuch der Anne Frank ist eben nicht nur ein kleines kariertes Büchlein, das in enger, kaum zu entziffernder, altmodischer Schreibschrift beschrieben und mit vergilbten Schwarz-Weiß-Fotos bestückt ist. Es ist eine Botschaft, die heute noch genauso aktuell ist wie zu der Zeit, als Anne Frank sie geschrieben hat! Die folgenden Stationen machen das deutlich: Jede wird von einem Zitat aus dem Tagebuch eingeleitet und überträgt das Geschriebene in die gegenwärtige Lebenswelt junger Leute. Was ist Zivilcourage und wann sollte ich sie zeigen? Woran erkenne ich Hate Speech im Netz? Stimmt es überhaupt, dass zurzeit so viele Geflüchtete wie noch nie nach Deutschland kommen? (Es stimmt nicht, verglichen mit der Zeit der beiden Weltkriege sind die Migrationsbewegungen heute minimal!) Und wusstet ihr, dass die in Deutschland so beliebten Gartenzwerge eigentlich aus Anatolien kommen? An jeder Station sind die Besucher*innen gefordert, ihre eigene Sicht auf die Dinge zu reflektieren. Alle Eindrücke können auf Wunsch digital gespeichert und später ausgewertet werden. Auch wenn die Bedienung des Tablets an der einen oder anderen Stelle etwas kompliziert war, finde ich die technischen Möglichkeiten, mit denen hier Wissen vermittelt werden kann, überwältigend. Besonders beeindruckt haben mich die Stationen, die sich mit gängigen Vorurteilen und Rassismen beschäftigen. Nicht nur im übertragenen Sinne muss man sich hier selbst die „Rassismusbrille“ aufsetzen (zum Glück kann man sie danach wieder abnehmen!) und gängige Stereotype hinterfragen. Wie diese wirken, wird an einem „Körperscanner“ verdeutlicht, aber ich will hier auch nicht zu viel verraten, wenn ihr die Ausstellung noch nicht gesehen habt. Eine weitere Station zeigt auf, wie Sprache und Bilder Vorurteile schüren. 

Am Ende des Rundgangs steht für die Jugendgruppen nicht der sonst so beliebte Besuch des Museumsshops – den gibt es hier nicht! – sondern die Gelegenheit, das Gesehene und Erlebte in der Gruppe und gemeinsam mit den Betreuer*innen zu reflektieren und zu diskutieren. Denn eines steht fest: Egal, ob die Besucher*innen noch zur Schule gehen oder wie ich bereits mitten im Berufs- oder gar im politischen Leben stehen – der Besuch des Lernlabors lässt niemanden unverändert. Auch ich verlasse das Bildungszentrum sehr nachdenklich und nehme mir vor, einige Dinge künftig noch genauer kritisch zu hinterfragen.

Dass es in Frankfurt mit der Bildungsstätte Anne Frank einen Ort gibt, an dem Jugendliche und Erwachsene auf solch innovative Weise politische Bildung erfahren können, freut mich sehr und ich danke Dr. Meron Mendel herzlich für die Einladung, den Ausstellungsrundgang und das informative Gespräch! 

Der Besuch des Lernlabors „Anne Frank. Morgen mehr“ in den Räumen der Bildungsstätte Anne Frank (Hansaallee 150, Haltestelle „Dornbusch“) ist von Montag bis Freitag nur für Jugendgruppen und Schulklassen möglich, an den Wochenenden von 12-18 Uhr für alle Interessierten. Bis 18 Jahre ist der Eintritt frei, Ältere zahlen 5 Euro. Eine Anmeldung per Mail ist empfehlenswert, denn maximal werden 20 Besucher*innen gleichzeitig eingelassen. 

Artikel kommentieren

Artikel kommentieren